Verselbständigungsbegleitung
Unterstützung für junge Menschen im Übergang zur Eigenständigkeit.
Der Auszug aus dem elterlichen Haushalt ist für junge Menschen ein bedeutender Schritt in der Entwicklung zur Eigenständigkeit. Der 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung sagt aus, dass das durchschnittliche Auszugsalter in Deutschland seit vielen Jahren stabil bei 23 Jahren liegt. Die Gründe für das Verbleiben Volljähriger im Elternhaus liegen oft im nicht ausreichenden Einkommen aber auch in den Vorzügen der Versorgtheit, häufig mit dem zweideutigen Begriff „Hotel Mama“ belegt. In Lebenskrisen ist der Rückgriff auf räumliche Ressourcen der Herkunftsfamilie in dieser Altersphase sehr verbreitet. Ein Abbruch der Ausbildung, ein Arbeitsplatzverlust oder das Ende einer Beziehung lassen junge Menschen auf das „Sicherungsnetz“ Familie zurückgreifen.
Junge Menschen, die volljährig sind und die stationäre Jugendhilfe verlassen, haben es ungleich schwerer. Ein Beispiel aus unserer Einrichtung zeigt einen typischen Weg eines sogenannten Care-Leaver: Alexander* kam im Jahr 2010 mit fast 16 Jahren im Rahmen einer Inobhutnahme ins Kinder- und Jugendhaus St. Josef und lebte zwei Jahre in einer Wohngruppe. Anschließend wechselte er in den Verselbständigungsbereich, wohnte dort in der Valentin-Gruppe und einige Zeit selbständig in einem sogenannten Trainingsapartment. Den ersten allgemeinen Schulabschluss im dritten Anlauf geschafft, die Lehre zum Lagerhelfer kurz vor der Prüfung abgebrochen, fand er schließlich in Hamburg Arbeit. Anfang 2014 zog er dann im Alter von 20 Jahren nach Hamburg in eine eigene Wohnung, in der er für ein weiteres Jahr betreut wurde.
Aufgrund ihrer oftmals belasteten Biografie gelingt es jungen Menschen, die nicht in ihrer Familie aufgewachsen sind, weitaus seltener, ohne Umwege ihren Weg durch die schulische Bildung hin zu einem qualifizierten Abschluss zu finden. Viele junge Menschen in Heimerziehung sind psychosozial belastet. Darüber hinaus haben sie seltener funktionierende familiäre Strukturen erlebt, die ihnen ein Vorbild für ein gelingendes Leben hätten sein können.
Mit der Volljährigkeit eines jungen Menschen wird das Jugendamt aus seiner Aufgabe entlassen, Hilfe zur Erziehung für die Eltern zu leisten. Der junge Erwachsene kann nun für sich selbst eine Hilfe beantragen. Aufgrund der Volljährigkeit werden junge Volljährige aber nicht selten von Behördenseite gedrängt, die stationären Einrichtungen schnellstmöglich zu verlassen und selbständig zu werden. Mit ihrem Auszug aus den Einrichtungen verlieren Care-Leaver ihre gewohnten Unterstützungsstrukturen. Wer die Volljährigkeit erreicht hat und aus seiner/ihrer Wohngruppe ausgezogen ist, kann auch im Fall einer Krise oder Notlage nicht in die „alte“ Wohngruppe zurückziehen.
Diese Bruchkante geht aber an der Lebensrealität vorbei. Es gibt 17-jährige, die auch in stationären Einrichtungen keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung mehr benötigen und gut im eigenen Wohnraum zurechtkommen. Aber es gibt auch 19-jährige, für die ein durchgehend sicherheitsgebender Betreuungsrahmen notwendig ist. Das Kinder- und Jugendhaus St. Josef hat diese Thematik schon vor 15 Jahren erkannt und mit dem Arbeitsbereich „Betreutes Wohnen“ eine eigene Struktur zur Betreuung von Care-Leavern geschaffen. Wir nennen es „Verselbständigungsbegleitung“, wenn wir in diesem Bereich junge Menschen im Alter von 16 – 21 Jahren betreuen. Mit einer eigenen Wohngruppe, hausinternen Apartments und externen Trainingswohnungen wurden unterschiedliche Betreuungsangebote geschaffen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Alexander ist mittlerweile 23 Jahre alt und Familienvater. Noch heute hat er Kontakt zu seinen Erzieherinnen und Erziehern von früher und meint: „Da wo ich heute bin, ohne meine Betreuerin, hätte ich das echt nicht geschafft!“
* Name geändert
Stefan Götting